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Kuchen war unser Gemüse! Mein ganz persönlicher Nachruf auf meinen Bruder Hermann Cölfen — Elisabeth Cölfen

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Aber es reichte nicht, nur an Festtagen Kuchen zu essen. Meine Mutter brauchte täglich ihre „Dosis“ Kuchen und war fest davon überzeugt, dass auch wir alle jeden Tag mindestens ein oder zwei Stücke Kuchen essen mussten. Da meine Mutter als Hausfrau und Geschäftsfrau mit Lagerverwaltung, Bestellungen etc. aber den ganzen Tag arbeiten musste, blieb keine Zeit zum Kuchen backen. Außerdem schätzte sie als Nachkriegskind auch durchaus die Annehmlichkeiten von fertigem Essen. Der Kuchen wurde täglich vom Bäcker um die Ecke gekauft, und es kam auch reichlich Päckchen zum Einsatz. Meine Mutter hatte einen unendlichen Vorrat an Tütensuppen, Tütensaucen und Suppen in Dosen.Bis auf die Unmengen von Süßigkeiten haben wir sicherlich nicht ungesund gelebt. Es gab eigentlich jeden Tag Gemüse, und es wurde abwechslungsreich gekocht. Aber für meinen Bruder und mich war völlig klar, dass ein Leben ohne Süßigkeiten zwar möglich, aber weitestgehend spaßfrei sein musste. So gab es immer einen Vorrat an Süßigkeiten, den meine Mutter im Wohnzimmer aufbewahrte. Der damalige Wohnzimmerschrank meiner Eltern steht heute bei meinen Schwiegereltern. Und wenn ich deren Wohnzimmer betrete, möchte ich noch heute automatisch die rechte Tür des Schranks aufmachen und mir eine Tafel Lindor, ein paar Mon Cherie oder Novesia Goldnuss nehmen: Pawlow läßt grüßen.Hermann und ich schätzten also gutes und besonders süßes Essen, konnten zu dieser Zeit selber aber überhaupt nicht kochen. Hermann hatte als Mann in der Küche natürlich nichts zu suchen, denn zu meinem Leidwesen war das Rollenbild meiner Eltern sehr konservativ. Ich musste spülen, bei der Hausarbeit mithelfen, Fenster putzen, Staub wischen etc. Und natürlich die ganzen Feiern mit vorbereiten. Die Männer dagegen wurden nur bedient. Bei meiner Mutter ging das so weit, dass mein Vater nicht einmal in der Lage war, sich selber Kaffee zuzubereiten oder ein Ei zu kochen.Aber wenn ihr jetzt denkt, dass ich von meiner Mutter kochen gelernt habe, liegt ihr falsch. Das Kochen hat sie immer selbst übernommen. Sie hat höchstens mit mir zusammen gebacken oder auch mal Kartoffelsalat etc. gemacht, aber das Kochen war immer ihre Domäne.Während der seltenen Urlaubszeiten meiner Eltern fuhr Hermann wie gesagt den Milchsammelwagen. Ich musste den Haushalt machen und dann natürlich auch kochen, obwohl ich es ja nie gelernt hatte. Als er dann eines Tages müde von seiner Lkw-Tour nach Hause kam, habe ich ihm ein Cordon bleu mit Kartoffeln und Erbsen serviert. Die Erbsen waren in Ordnung, die Kartoffeln konnte man halbwegs essen. Das Fleisch sah von außen auch recht ansehnlich aus, aber von innen war es leider komplett roh und der Käse eiskalt. Dieses Essen blieb nicht ohne lebenslange Folgen für mich; bis vor Kurzem hat Hermann mich als Foodfotografin mit meinem „Cordon roh“ geärgert.Feste und Feiertage waren bei uns zu Hause rein kulinarisch besonders wichtig. Da meine Mutter nicht nur extrem gut und reichlich gekocht hat, sondern das Haus auch blitzeblank sein musste, waren die Tage vor Weihnachten immer ziemlich stressig für mich. Mein Vater brachte meist 2 oder 3 Hasen von Bauern mit, die im Keller hingen und vor Heiligabend von meinem Vater oder einem Freund der Familie abgezogen wurden. Die über Nacht in Buttermilch schwimmenden blutigen Hasenteile gehörten für uns ebenso zum Weihnachtsfest wie das Spritzgebäck oder die enorm gefüllten bunten Teller, die erst am Heiligabend zum Vorschein kamen. Jedes Familienmitglied bekam 2 Tafeln der jeweiligen Lieblingsschokolade, selbst gebackene Butterplätzchen und Spritzgebäck und Unmengen der in der Konditorei Dobbelstein in Duisburg erstandenen Trüffelpralinen.Und da meine Mutter Hermann besonders liebte und die Liebe – wie ihr euch mittlerweile denken könnt – in ihrer Welt zumindest zu einem Großteil durch den Magen ging, bekam Hermann noch immer diverse Extras. Meistens natürlich etwas aus Marzipan, das er sein Leben lang liebte.So gehörte das Thema Food immer zu uns, und sowohl Hermann als auch ich haben immer gern gekocht. Und wenn ich Hermann zu Weihnachten Bœuf Bourguignon nach Julia Child servierte, war das zwar nicht unser Familien-Hasenbraten, aber fast schon so etwas wie unsere neue Weihnachtstradition.Food und FotosHermann hat früher sehr oft fotografiert; mich dagegen hat das Fotografieren überhaupt nicht interessiert. Dass ich heute Fotografin bin und auch noch unser Lieblingsthema Food fotografiere, hätten sicher weder Hermann noch ich gedacht. Hermann liebte meine Fotos. Bis auf die „Mädchenkram“-Bilder in hellen Pastelltönen, zu denen er manchmal sagte: „Als hätte sich ein Flamingo ausgekotzt“. Das war ein Zitat aus dem Bette Middler-Film „Beaches“ – auch einer unserer Insider.Bei jedem Shooting habe ich mir auch vorgestellt, was Hermann zu den Bildern sagen würde. Und nach dem Shooting habe ich die Bilder zuerst ihm gezeigt. Er war dann voll des Lobes oder hat über den „Mädchenkram“ geschimpft. Immer hat er aber gefragt, ob man das Motiv essen kann und ob er es beim nächsten Besuch probieren darf.Er hätte auch sehr gern Food fotografiert, aber dafür fehlte ihm einfach die Zeit und manchmal auch die Geduld. Ich habe dann aus der Ferne Tipps gegeben, und so ist zum Beispiel dieses Titelbild entstanden.

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